Die Lieberkühns
Zu den Familien, die sich im Umfeld der Knackmussens tummeln und die durch Heirat mit ihnen verbunden sind, gehört auch die Familie Lieberkühn aus Quedlinburg. Der Stammvater des für die Knackmussen bedeutsamen Zweiges, ist der Goldschmiedermeister Johann Christian Lieberkühn (1669 - 1733), der als königlicher Hofgoldschmied unter Friedrich Wilhelm II, König von Preussen, zu einer gewissen Berühmtheit gelangt. Ein Stand, der sich gut am Portrait weiter unten auf der Seite ablesen lässt. Ihm folgt in seinen Ämtern, auch als Obermeister der Gilde in Berlin, sein Sohn Christian (1709 - 1769). Ebenfalls zu seinen Söhnen zählt Johann Nathanael (1711 - 1756), der zwar sein Theologiestudium abbricht, dafür aber Medizin und Naturwissenschaften studiert, erfolgreich forscht und Mitglied der Royal Society und der Deutschen Akademie der Naturforscher, der Leopoldina wird. Theologisch um so erfolgreicher ist sein Bruder Samuel Heinrich (1710 -1777), der bei der Herrnhuter Brüdergemeine Pfarrer wird und mit seinem Buch "Die Geschichte unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi aus den vier Evangelisten zusammen gezogen" bis ins "Delawarische" übersetzt wird. Zu guter letzt sei noch Benjamin (1714 - 1789) unter den 14 Geschwisterkindern des Goldschmiedemesiters aus Quedlinburg erwähnt. Er studiert Theologie und Medizin und wird in Halberstadt Physikus, Hebammenlehrer und Bürgermeister. Er ist in Halberstadt im Austausch mit Johann Gottfried Ludwig Gleim, dem Aufklärer, Dichter und Netzwerker und kann, wie auch die meisten seiner Brüder selbst als aufklärereischer Geist gesehen werden. Gemeinsam mit Gleim verhandelt er im Krieg mit französischen und österreichischen Heerführern, worauf die Stadt jeweils verschont und von Reparationszahlungen entlastet wird.
In der volkstümlichen Erzählung "Der Neidkopf", die 1831 zum erstenmal veröffentlich wird, geht es um eine Büste an der Fassade des Lieberkühnschen Hauses in der Berliner Heiliggeiststrasse. Es gibt verschiedene Variationen der Geschicht, teils mit unterschiedlichen Namen. Um hier den historisch gegebenen Bezug zu verdeutlichen, heisst der Goldschmiedemeister in der Erzählung tatsächlich auch Lieberkühn.
Der Neidkopf
"Ein freundlicher, nach des Tages Hitze wahrhaft erquickender Sommerabend wehte seine kühlenden Lüftchen durch die Straßen Berlins und veranlasste die Handwerker, ihre Arbeitswerkstätte zu schließen und sich durch einen Spaziergang vor den Toren oder unter den Linden zu erholen. Nur der Goldschmied Lieberkühn hatte in seinem kleinen baufälligen Häuschen auf der Heiligengeiststraße noch seine Werkstatt zu ebener Erde offen und arbeitete so munter, als andere Meister kaum am Morgen beginnen, wozu ihn aber weder Ordnungslosigkeit noch Geiz, sondern Armut nötigte; denn wenn er Arbeit bekam, musste er sie auch schnell beenden, um den Kunden zu gefallen und bald Lohn für seine Arbeit zu erhalten.
So saß er auch eines Abends emsig beschäftigt, als ein Fremder in schlichtem Anzuge bei ihm eintrat. Lieberkühn, den guten Abend des Fremden freundlich erwidernd, blickt auf und erkennt in ihm seinen – König Friedrich Wilhelm l., der ein besonderes Vergnügen daran fand, in einem einfachen Anzuge Abends auf den Straßen zu lustwandeln und das Tun und Treiben seiner Bürger zu beobachten. Der König fragte, warum er noch so spät arbeite, da alle Meister und Gesellen langst Feierabend gemacht hatten und seine Arbeit sich doch weniger gut bei dem Lampen- als bei dem Tageslichte verrichten lasse. Lieberkühn kannte den edlen Charakter, aber auch die sonderbaren Launen seines Königs, der ihn mit Freundlichkeit anblickte, und schilderte ihm fast beredt die drückende Armut, in der er lebe, und wie er nicht selten Bestellungen von Arbeit zurückweisen müsse, weil er die dazu nötigen Auslagen an Gold und Silber nicht aufzubringen vermöge und so nichts Erhebliches erwerben könne!
Dem Könige, der den Goldschmied schon öfter beobachtet und sich nach seiner Kunstfertigkeit erkundigt hatte, gefiel die anspruchslose Offenherzigkeit des Mannes und er bestellte bei ihm ein goldnes Service, wozu ihm das nötige Metall aus der Schatzkammer geliefert werden sollte.
Nachdem der König die Werkstatt verlassen hatte, dankte der wackre Goldschmied Gott für die Hilfe, die ihm zu Teil geworden war, schloss seinen Laden und erzählte den Seinen, welch einen Besuch er gehabt habe. Schon des nächsten Tages erhielt er das Gold und Lieberkühn war nun noch fleißiger, als er es je gewesen war. Der König wiederholte oft seinen Besuch, sah lange und aufmerksam der Arbeit des geschickten Künstlers zu, die ihm wohlgefiel, und freute sich sehr auf die Vollendung des Services.
Bei einem dieser Besuche bemerkte der König in den Fenstern des gegenüber liegenden Hauses zwei weibliche Personen, welche dem Goldschmied, wenn er einmal von seiner Arbeit aufblickte, abscheulich verzerrte Gesichter machten. Er fragte den Goldschmied, warum sie das täten, und dieser berichtete ihm, dass es die Frau und Tochter eines Zunftgenossen wären, die ihren Ärger und Neid über die hohe Ehre, die ihm selbst durch Se. Majestät zu Teil werde, dadurch zu erkennen gäben; auch gestand er dem Könige, dass er diese Weiber, die ihn schon gar oft in seiner Arbeit gestört hätten, mit ihren Fratzengesichtern unter den Verzierungen einiger Silbergeschirre abgebildet habe.
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Aus den Geschichtsbüchern
Soweit die Legende. Tatsächlich gehörte das Haus Heiliggeiststrasse 38 laut Fundschoßregister des Berliner Magistrats dem Goldschmied Johann Christian Lieberkühn, geboren 1669 in Quedlinburg, 1701 als Taufpate in der Nikolaikirche erwähnt. 14 Kinder hatte er, als er am 28. Januar 1719 das Grundstück für 2335 Thaler erwarb und kurz darauf ein neues Haus baute.
Warum er den Neidkopf anbringen ließ, darüber spekuliert die Forschung. Heute bewahrt ihn das Stadtmuseum auf. Die Kunsthistorikerin Gundula Ancke, dort zuständig für die Skulpturensammlung, kennt keine Hinweise darauf, dass im Haus gegenüber ein Goldschmied ansässig war, wie die Legende behauptet – also wohnten dort auch keine neidischen Konkurrenten. Vielmehr weist das Fundschoßregister für das Haus gegenüber, Heiliggeiststraße 12, Hofrätin Bergius als Eigentümerin aus. Die Nummer 11 befand sich in königlichem Besitz. Aber das bedeutet nicht, dass die Lieberkühn’sche Nachbarschaft ohne Neider gewesen wäre.
Lieberkühn war jedenfalls keineswegs ein armer Handwerker, sondern ein wohlhabender Mann und Hoflieferant, der Großaufträge für den König erledigte. 1717, zwei Jahre vor dem Hausbau, wurde er vom König zum Oberältesten der Berliner Goldschmiedezunft ernannte. Seinem Vorgänger im Amt, Daniel Männlich dem Jüngeren, hatten Zunftmitglieder Verfehlungen und schlechte Amtsführung vorgeworfen.
In einem Schreiben an den König, datiert vom 29. April 1717, klagten Zunftmeister, der Männlich führe sich so auf, „dass er viel verdienet, dimittiert zu werden“. In 16 Jahren sei er niemals zum Heiligen Abendmahl erschienen, habe seine Erbschaft aufgezehrt, sich scheiden lassen und unentwegt prozessiert. Man sieht, es gab wohl gute Gründe für Männlichs Ablösung durch Friedrich Wilhelm I. Doch dann redeten die Neider – womöglich Rivalen aus der eigenen Zunft – schlecht über den Nachfolger, der Goldschmied Männlich aus dem Amt gedrängt haben sollte. Da läge ein Motiv Lieberkühns, sich und die Seinen gegen Neider zu schützen.
Eine andere Erklärung könnte nach Überlegungen der Historikerin Hela Zettler in der Nähe zum Heilig-Geist-Spital liegen. Wollte der Schmied Krankheiten und Seuchen abwehren? Nicht ausgeschlossen, denn Neidköpfen sprach man allgemein die Fähigkeit zu, Unheil abwehren zu können.
Belegt ist, dass Christian Lieberkühn und sein Sohn selben Namens von 1730 bis 1733 zahlreiche Kronleuchter, silberne Rahmen, Tafelgeschirr und anderes Schmuckwerk für den Hof fertigten. Das meiste wurde später eingeschmolzen. Übrig blieb bis heute einzig ein Zuckerstreuer mit silbernem Aufsatz im Besitz des Märkischen Museums.
Quellen:
https://www.berliner-zeitung.de/berlin/wahrheit-und-legende--der-berliner-neidkopf--der-die-schandmaeuler-abschrecken-sollte-32092200
https://maerchensammler.wordpress.com/2012/07/16/der-neidkopf/