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Die Klappermühle bei Pabsdorf oder von Lindhorst nach Friedensau

(von Wolfgang Hartlapp)

Im "Tageblatt" der Stadt Burg bei Magdeburg konnte man am 4. Oktober 1899 lesen: "Die Herrn Knochenmuß gehörige ‚Klappermühle' ist, wie uns mitgetheilt wird, an eine Missions-Gesellschaft verkauft worden, die dort ein Institut zur Ausbildung von Missionaren errichten will." Durch diesen Besitzerwechsel wurde eine kleine Wassermühle aus ihrer Jahrhunderte alten Unbekanntheit herausgerissen und sollte von nun an unter dem Namen Friedensau ans Licht der Weltöffentlichkeit treten.

Hinter der besagten Missionsgesellschaft verbargen sich die Deutsche Vereinigung der Siebenten-Tags-Adventisten mit ihrem Vorsteher Heinrich F. Schuberth sowie der Vorsteher des gesamten europäischen Feldes, Ludwig Richard Conradi. Wie die Quellen besagen, war es vor allem Conradi, der unermüdlich für den Aufbau dieser ersten Predigerausbildungsstätte der Gemeinschaft in Europa gearbeitet hat. Wie kam es zum Kauf der Klappermühle? Eine Ausbildung von Missionsarbeitern, wie man Prediger und Buchevangelisten damals nannte, hatte es schon zehn Jahre lang in einem Missionshaus der Gemeinschaft mitten in Hamburg gegeben. Aber das war ein Provisorium. Das große Ziel war eine Missionsschule außerhalb der Städte mit genügend Land, um nach dem Vorbild der alttestamentlichen Prophetenschulen eine ganzheitliche Ausbildung zu ermöglichen.Im Juli 1899, auf der Konferenz der Deutschen Vereinigung der STA in Magdeburg, schien die Zeit dafür reif. Die Vertreter der damals knapp 2000 Glieder zählenden deutschen Gemeinden faßten den entscheidenden Beschluß, eine Missionsschule und eine Heilanstalt zu gründen, um "Arbeiter sowohl für das einheimische Feld als auch für die in aller Welt verbreiteten Kolonien von Deutschland und Holland" auszubilden. Diese Ausbildung sollte mit praktischer Arbeit verbunden werden. Die Verwirklichung dieses Beschlusses geschah dann sehr schnell, ohne jedoch die nötige Sorgfalt vermissen zu lassen. Der Ausschuss zog noch O. A. Olsen, den damaligen Leiter unseres skandinavischen Werkes, zu Rate, und nach reiflicher Überlegung entschied man sich für die Klappermühle, vierzehn Kilometer von Burg entfernt.Ausschlaggebend für diese Wahl war einerseits die günstige Lage Burgs an der Bahnlinie Berlin-Magdeburg. Andererseits schrieb Conradi im "Zions-Wächter" vom Oktober 1899: "Die Schule sollte so viel wie möglich im Herzen Deutschlands, sie sollte aber auch so viel wie möglich abgelegen sein und doch gute Eisenbahnverbindung haben. Wir wünschten auch genügend Land für die Arbeit und gesunde Lage. Nun liegt die Klappermühle allein in einem Tannenwald; die Mühle, welche mit Wasser getrieben wird, hat ungefähr fünf bis acht Pferdekräfte, damit sind ungefähr 139 Morgen bebautes Land verbunden Alle Brüder, welche diesen Ort besuchten, fanden, daß er sich für die Industrieschule und auch für das Krankenheim eignet … Was die Mühle anbelangt, so ist Aussicht vorhanden, daß sie zur Herstellung von Nahrungsmitteln zu benutzen ist, und es ist natürlich äußerst wichtig, daß wir unser eigenes Mehl herstellen können. Infolgedessen wurde einstimmig beschlossen, die Mühle zu kaufen. Dieselbe kostet uns mit vier Pferden, Viehstand, Wagen, Saat usw. Mk. 50.000."Bezüglich der Kosten war Conradi auf die Willigkeit der Gemeindeglieder angewiesen. Unermüdlich und liebevoll bat er um deren Unterstützung. Deshalb schreibt er weiter: "Unter allen diesen Umständen sollten wir sofort unbedingt Mk. 15.000 haben und innerhalb der nächsten vier Monate weitere Mk. 10.000 … Wir gedenken mit der Schule Mitte November zu beginnen, und werden wir uns diesen Winter durchhelfen, bis geeignete Räumlichkeiten geschaffen sind. Alle unsere Geschwister aber, welche ein Interesse haben, daß auch für unsere kranken Geschwister ein Heim gesorgt wird, wo sie rechte Verpflegung haben, werden sicherlich erfreut sein, aus allen Kräften mit zu helfen. Wir sind dem Herrn dankbar, daß er die Wege gebahnt hat. Wir haben auch die feste Zuversicht, daß unsere Geschwister allenthalben Gott um Gnade bitten werden, daß er sie reich mache zu guten Werken … Gott hat fröhliche Geber lieb, und er wird es einer jeden Seele reichlich vergelten."

Bereits am 14. September 1899 wurde sich Conradi mit dem Besitzer der Klappermühle über den Kauf einig. Vom 1. Oktober an übernahmen die Adventisten die Bewirtschaftung des Mühlengrundstücks und der kleinen Landwirtschaft. Am 10. Oktober wurde der notarielle Kaufvertrag geschlossen. Laut Kaufvertrag ging die Klappermühle zunächst an den Prediger Conradi aus Hamburg über, da die Gemeinschaft nicht berechtigt war, Eigentum zu erwerben. Erst im folgenden Jahr wurde das Grundstück an den inzwischen gegründeten Deutschen Verein für Gesundheitspflege überschrieben.

Es ist erstaunlich, wie schnell nach der Beschlussfassung im Juli 1899 die Klappermühle gefunden und erworben wurde. Hinter allem wird die wunderbare Fügung und Führung Gottes sichtbar. Es erhebt sich allerdings die Frage, weshalb der Blick der deutschen Adventisten gerade auf dieses abgelegene Mühlengrundstück im Wald bei Pabsdorf gefallen war. Die Spuren führen uns auf die Gemeinde in Magdeburg, die nach Berlin die älteste Gemeinde im mitteldeutschen Raum war.

Der Mühlenbesitzer Otto Knochenmuß (übernommen worden war die Mühle zuvor von seinem Vater, Johann Heinrich Christoph Knochenmuß, der als Müller aus Lindhorst gekommen war) war zusammen mit vier leiblichen Schwestern in der Klappermühle aufgewachsen. Zwei seiner Schwestern hatten nach Magdeburg geheiratet, eine den Tischlermeister August Schwenecke, die andere den Lehrer Gotthold Müller. Diese Wilhelmine Müller, geb. Knochenmuß hatte Kontakt mit der Adventgemeinde gefunden und war im April 1895 Glied der Gemeinde Magdeburg geworden. Es ist naheliegend, daß auch ihre Schwester Louise Schwenecke zur Gemeinde gehörte, denn ihr Sohn Otto ging als einer der ersten Schüler im November 1899 nach Friedensau. Conradi war in jenen Jahren unermüdlich unterwegs, um die kleinen Gruppen von Geschwistern und Freunden aufzusuchen und im Glauben zu stärken. Nach den Berichten im "Zions-Wächter" war er auch häufig in Magdeburg. Er kannte die wenigen Gemeindeglieder persönlich, mit Sicherheit auch unsere beiden Schwestern von der Klappermühle. In einem seiner Reiseberichte im "Zions-Wächter" vom April 1898 findet sich die Bemerkung: "Dienstag (22. März 1898, d. Verf.) besuchte ich eine kranke Schwester in einer Mühle bei Pabsdorf und hatte das Abendmahl mit den drei Schwestern hier." Das ist hinsichtlich der Geschichte Friedensaus eine äußerst interessante Bemerkung. Dass es sich hier um die Klappermühle handelte, steht außer Zweifel. Conradi kannte demnach die Mühle, lange bevor der Kauf verhandelt wurde. Bereits eineinhalb Jahre zuvor hatte er dort einen Besuch gemacht. Als Grund gibt er einen Krankenbesuch an, wahrscheinlich handelt es sich um unsere Glaubensschwester, die Lehrerswitwe Wilhelmine Müller.

Als eineinhalb Jahre nach diesem ersten Besuch Conradis in der Klappermühle der Beschluß zum Kauf eines Schulgrundstücks gefaßt wurde, war die Mühle bei Pabsdorf Conradi nicht unbekannt. Unmittelbar nach der Beschlußfassung änderten sich die Verhältnisse in der Klappermühle. Die Mutter des Mühlenbesitzers (Helene Dorothee Knochenmuß, geb.Borns), die auf dem Grundstück ein lebenslanges Altenteil hatte, starb am 28. Juli 1899. Nun fühlte sich Otto Knochenmuß frei, das Mühlengrundstück zu verkaufen, auf dem große Hypotheken lasteten. Er selbst scheint ohnehin nicht der geborene Landwirt gewesen zu sein, denn die Äcker und Ställe befanden sich nach Auskunft des ersten angereisten Schülers August Langholf in beklagenswertem Zustand. Es liegt nahe, daß eine der beiden in Magdeburg wohnenden Schwestern des Otto Knochenmuß Conradi auf die Verkaufsabsichten ihres Bruders aufmerksam machte. Sofort begann Conradi mit den leitenden Brüdern die Eignung des Mühlengrundstücks zu prüfen. Das führte schließlich zum oben erwähnten Kaufabschluß. Von der Kaufsumme erhielten die vier Schwestern des Otto Knochenmuß die in einem früheren Vertrag festgelegten väterlichen Erbgelder. Die Lehrerswitwe Wilhelmine Müller schenkte ihr Erbteil von 3.000 Mk. der Gemeinschaft und erhielt dafür eine lebenslange Leibrente. Sie starb im Juli 1901 im kurz zuvor eröffneten Sanatorium Friedensau und fand ihre Ruhestätte am Waldrand, wo im Jahr darauf der Friedhof angelegt wurde.

Der Rückblick auf den Kauf der Klappermühle und des damit verbundenen Grundes durch die Pioniere unseres Werkes in Deutschland erfüllt uns mit dankbarem Staunen über die Führung Gottes. Er ließ die verantwortlichen Geschwister damals einen Ort finden, an dem noch heute, nach 100 Jahren, junge Menschen für den Dienst in Seinem Werk ausgebildet werden.

[Wolfgang Hartlapp, langjähriger Dozent in Friedensau, ist derzeit vorrangig am Auf- und Ausbau des Archivs für Europäische Adventgeschichte beteiligt, das in unmittelbarer Nähe der "Klappermühle" entstanden ist.]



Der Pabsdorfer Mühlenbesitzer Johann Heinrich Christoph Knochenmuss (1817-1893 aus Colbitz) und seine Frau Marie Helene Charlotte Dorothee (1821-1899, geb. Borns aus Beindorf).

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