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Modderkuhl - die Mühle im Grund

(von Hauptlehrer Schenck)

Dort, wo der Uchte Quellen im tiefe Grund rieseln, und ihre Wasser in ewigem Gleichklang leise rauschen; dort, wo in lauen Frühlingsnächten der Nachtigall wonnige Liebesklage ertönt; da liegt, wie wenige wissen es, uralter Kulturboden einer vorgeschichtlichen Siedelung, deren Grenzen sich ostwärts bis zu den heutigen Moordämmen erstreckt haben mögen. Funde von Steinwerkzeugen erzählen davon. Saxa loquuntur…Steine reden!

Und wenn der Heidedichter Löns seinem Roman „Der Wehrwolf“ mit dramatischer Kraft und unvergleichlicher Schönheit den blutigen Daseinskampf einer Bauerngemeinde der Lüneburger Heide während des 30jährigen Krieges schildert, so sei darauf hingewiesen, dass gerade in unserer Heide sich in jener Zeit ähnliche Tragödien abspielten, von denen keine s Dichters Mund erzählt. Verwittertes Gemäuer auf fast 30 verwüsteten Dorfstätten im Gebiet der Letzlinger Heide raunt uns das furchtbare Geschehen jener fernen, fernen Tage zu. Dass sich im Norden Uchtspringes, die alte Heer- und Kulturstraße der Altmark hinzieht, hart vor Wilhelmshof den Uchtspringer Weg kreuzend, möge nur hier erwähnt, die Darstellung ihrer sagenumwobenen, farbenreichen Geschichte aber einer späteren Schilderung vorbehalten sein.


Von der Ucht oder Huchta Uchta oder Hucht von den alten genannt und springt hinter dem Dorffe Narstedte im Mittage, nicht ferne von Vincelberge aus einem grausamen Morast oder gesumpff - der Moderpfuel (Modderkuhl) genannt. (Sie) läuft nach dem Morgen (Osten) herab auf das Dorf Insel, Döblin, Warberg und die Hauptstadt des Landes, Stendal. Da fleust sie mitten durch und umb die Stadt, gibt sich darnach auf das stendalische Holz und Thunde genannt. (Dann) lenkt (sie) sich nach Mitternacht, etwas auf Eickstede, da enpfehet sie dem Bach Balsem genannt. (Altmärkische Chronik (1579) von Christoph Entzelt (1517 - 1583) - vermutlich hat Entzelt die Gegend noch ohne Mühle kennengelernt.)

Was nun die eigentliche Geschichte unserer Uchtspringer Anstalt betrifft. So ist dieselbe selbstverständlich noch jüngeren Datums. Im Spätsommer dieses Jahres werden es 30 Jahre, dass mit der Errichtung der ersten Anstaltsbauten begonnen wurde. In unserer raschlebigen Zeit bedeuten aber drei vollen Jahrzehnte eine derartige Wegstrecke, dass es sich verlohnt, stille zu stehen, um einen Rückblick zu tun auf das was einst war. Das eigentliche Gelände unserer schönen und großen Anstalt gehörte ursprünglich zum Mühlengute Modderkuhle. Und ich muss gestehen, von jeher hatte es für mich einen eigenen Reiz, der Geschichte dieser romantisch liegenden Mühle im Talgrund nachzuspüren, und mein Suchen begleitete Erfolge. Die Mühle ist längst verschwunden, aber in meinem Innern erstand ihr Bild so klar und deutlich, als hätt´ ich´s gesehen mit leiblichen Augen.

…Träumend schaute ich das arbeitsame Leben ihrer tüchtigen Bewohner, ich freute mich des geschäftigen Spiels der Mühlenräder und hörte an stillem Sommerabend das melodische Rauschen der Uchtewasser und des Keeperbachs am Mühlenwehr. Drüben, am Springberg, stand in schwarzen Tinten hoch und schweigend der Föhrenwald. Vom Vossberg herüber tönte verlorener Kuckucksruf, während aus der Woerle, dem sumpfigen Umland der Modderkuhle, das verschwimmende Quarren der Frösche antwortete. Durch lauwarem Luft taumelten Leuchtkäferchen, Heimchen zirpten im Grase und aus unendlichen Weiten grüßte der Abendstern mit mildem, klarem Lichte. Auf der Bank vor der Mühle saßen der junge Meister Johann Joachim Kackmußen und seine liebliche, tugendsame Ehefrau Annemarie. Sie hatte den blonden Kopf an seine Schulter gelehnt, seine Lippen streiften ihr Haar, und ihre Hände lagen fest in einander – so träumten sie… träumten von süßseligem Kinderglück, derweilen die Wasser rauschten…und die Nacht leise herniedersank. Aus dem finsteren Schatten der Tannenbreite trat sacht der Mond heraus; da erhoben sich beide und schritten engumschlungen in ihr Haus.

Ein Lichtlein ist drin erglommen,

Doch hats nicht lang gewacht –

Um die traute dunkle Mühle

Kreist sternenhell die Nacht…

Da die Modderkuhl – Mühle auch eines allgemeinen kulturellen Interesses nicht entbehret, so sei „Die Mühle im Grund“ der Auftakt zur Geschichte Uchtspringes

Modderkuhl, die Mühle im Grund

(vom Hauptlehrer Schenck)

Dort unten im Tale rauscht´s Wasser so trüb,

Und ich kann Dir´s nicht verhehlen, ich hab Dich so lieb.

Die urkundlichen Nachrichten, welche die älteste Geschichte unserer Talmühle betreffen, sind sehr spärlich. Es hat sich aber ermitteln lassen, dass bereits im 11. Jahrhundert unterhalb der Uchtequellen eine Wassermühle gewesen sein soll, ungefähr dort, wo sich heut der vordere Gutsteich befindet. Da bis in das 12. Jahrhundert hinein Wenden im Uchtetal wie überhaupt im größten Teil der Altmark wohnten, so liegt die Vermutung nahe, dass diese Wassermühle primitivster Art wendisch war. Sind doch unsere Nachbardörfer Börgitz (Borevyz), Staats (Stazcis), sowie die Wüstung Wendisch-Börgitz rein wendischen Ursprungs. Ferner hat auf dem „Backofenberg“, dicht beim Provinzialgut, ein wendischer Burgwall bestanden. Denn verbürgten Nachrichten zufolge, ist man in den siebziger und achtziger Jahren vergangenen Jahrhunderts bei einer tieferen Bearbeitung des Bodens auf alte Mauerreste gestoßen, wobei auch vereinzelt Haus- und Waffengerät gefunden wurde. Als „Backofenberg“ bezeichnete der frühere Bewohner das sanft ansteigende Gelände rechts von der Chaussee nach Börgitz, auf dem heut das Krankengebäude, die sogenannte „10“ steht.

An die Wendenzeit bei uns erinnert eine Sage von einem untergegangenen Schloss und einer wunderschönen Prinzessin. Wie eine alte Frau mir erzählte, soll das Schloss in der Woerle, dem verwunschenen Sumpf- und Moorland des Uchtetals, dicht hinter den heutigen Forellengräben, gelegen haben, und mit seinen 100 goldenen Türmen in einer Nacht spurlos im Sumpf versunken sein. Die Prinzessin aber steigt in der Johannisnacht aus den Tiefen mit langem, blauen Gewand und wehendem Schleier. Blutrote Johannisrosen im dunklen Haar tragend, so schwebt sie klagend-lockend über der Woerle. Die Hütejungen der Modderkuhle, die früher ihre Herde durch Wald und Sumpf bis zum heutigen Springgebiet treiben, wollen dies alles mehr denn einmal gesehen, und das knistern ihres Seidenkleides gehört haben.

Klosterkirche Neuendorf

Urkundlich erwähnt wird die Mühle „to Modderkolen“ im Jahre 1202, als in der Vogtei Gardeleve (Gardelegen) liegend. Bald nach der Gründung des Cistersienserinnenklosters Neuendorf (niendorp, nigendorp) anno 1228 – fiel unsere Wassermühle „to Modderkolen“ als Klostermühle demselben zu und wurde dem Kloster in Neuendorf abgabepflichtig.

Dieses Verhältnis, beziehungsweise die Zinspflicht der Mühle, muss noch im Jahre 1457 bestanden haben. Denn als Markgraf Friedrich der Jüngere die Besitzungen des Klosters bestätigte, wird neben den Dörfern Börgitz – jetzt Bornitze und Staats – nun Statz – auch das Klosterlehn „to Modderkolen“ erwähnt.

Unsere Mühle hat also um 1457 noch bestanden! Was sich aber in den verflossenen 2 Jahrhunderten – von 1250 bis 1457 – auf dem Mühlengut zutrug, wie die Besitzer durch das Jahrhundert des schwarzen Todes kamen – keine Chronik berichtet darüber, niemand weiß es! Wieviele Geschlechter mögen in jener Zeit in der Talmühle geboren, gelebt, gestorben, verdorben und – wo begraben sein – namenlos...verweht! Ein Hauch der Vergänglichkeit lässt beim Nachdenken darüber unsere Seelen erschauern und alte Psalmworte sprechen zu und: „Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras!“...

Abermal verrinnen 100 Jahre im Strom der Zeiten. Auch sie bedeuten für die Geschichte unserer Mühle ein leeres Blatt. Ein freundliches, helles Licht fällt erst wieder in das geschichtliche Dunkel, als um die Mitte des 16. Jahrhunderts die „Wasser- und Walkmühle zur Modderkuhlen“ als fester und ererbter Besitz der Familie Knackmußen genannt wird. Jahrhunderte hindurch bsi zum Jahre 1888 verblieb nun derselben die „Modderkuhle“. Ein von Zeugen gesehener, auf Pergament bunt geschriebener Erbschaftsbrief aus dem Ende 16. Jahrhunderts ist vor ungefähr 50 Jahren dem letzten Besitzer abhanden gekommen.

Im Laufe der Zeit hat sich der Name der „Mühle im Grund“, den Menschen gleich, die darin wohnten, gewandelt. Aus „to Modderkolen“ entwickelte sich „zu Modderkuhlen“. Beide Benennungen besagen im Hochdeutschen dasselbe, nämlich „Schlammgrube“.

Von Interesse wird es sein, etwas genaueres über die eigentliche Lage der „Modderkuhl-Mühle“ zu hören. Das Mühlengut der Knackmußen besaß außer den notwendigen Nebengebäuden eine Mahl- und eine Walkmühle. Beide Mühlen waren in gesonderten Häusern untergebracht, welche auf dem großen Hofe unseres Provinzialgutes standen. Und zwar befand sich die Mahlmühle, die zugleich an ihrer östlichen Seite die Wohnung Meister Knackmußen enthielt, in einer Entfernung von ungefähr 12 Metern vor dem heutigen Gutsschweinestall. Die Walkmühle dagegen lag in geringem Abstande von der Mahlmühle, an der Westseite unseres Gutshofes, dort wo jetzt Pferdestall und Lagerschuppen erbaut sind. Beide Mühlen hatten eigene Wasserräder, von denen sich besonders dasjenige der Walkmühle durch erstaunliche Größe ausgezeichnet haben soll. Den Antrieb bildeten die Wasser der Uchte und des Keeperbachs. Der letztere kam aus der südlich vom Mühlengut befindlichen Woerle und wurde von deren unterirdischen Quellen gespeist.

Der Oberlauf der Uchte hat sich gegen früher nicht wesentlich geändert. Allerdings legte das Müllergeschlecht der Knackmußen das Uchtebett mit zähem Fleiß in unermüdlicher Arbeit ein wenig höher, den Bedürfnissen der Mühlen entsprechend.

Während sich heut der größte Teil des Uchtewassers beim Forellenhäuschen in die Fischteiche ergießt, strömte in vergangenen Jahrhunderten die Uchte mit voller Wasserstärke bis zu Südwestecke des vorderen Gutsteiches, der übrigens erst in neuerer Zeit entstand. Dann durchschnitt sie in schräger Richtung die Schweineweide des Provinzialgutes, floß zwischen Schweinestall, sowie Verkaufsraum der Gutsgärtnerei hindurch und trieb zunächst die auf ihrem linken Ufer liegende Mahl- und einige Meter davon, die auf der rechten Seite befindliche Walkmühle. Hinter der letzteren wandte sich unser Bach nach Osten; durchqurte den Gutshof bis zur ersten Scheune, eilte unter derselben hindurch, um in östlicher Richtung – ruhigen und gesicherten Laufs weiter zu wandern. Eine braune 1 Meter hohe Holztür, an der Hinterwand der ersten Scheune, unmittelbar über dem Erdboden befindlich, sowie morsches Ziegelwerk an der Grabenböschung kennzeichnen uns hier den ehemaligen Lauf der Uchte.

Von der alten Mühlen blieb kein Stein auf dem anderen; nichts erinnert uns an sie, wenn wir den weiten, schönen Hof des Provinzialgutes überschreiten.

Und doch, ein Zeuge aus jenen vergangenen Tagen hat sich in unsere Gegenwart herübergerettet – es ist die alte Mühlentür der Walke. An dem Holzstall des Hofmeisters finden wir sie, im Schatten hoher Bäume ein beschauliches Dasein führend, unberufenen Händen, wie früher, treu den Eingang wehrend. Ein wenig schmal scheint unsere alte Freundin geworden zu sein; aber sie wirkt ungemein interessant, wenn wir sie näher beschauen. Viele, viele altersgraue eingekerbte Schriftzeichen bedecken ihren Leib; es sind die Namen von Weißgerbern die vor langen Jahren in der Walkmühle ihr ehrsames Handwerk ausübten. Von der Walkmühle erhielten sich nur noch 2 Lichtbilder. Das eine davon hängt im großen Wartezimmer des Verwaltungsgebäudes, während sich das andere im Besitz des Malermeisters Heinrich Lehmann – Börgitz befindet. Die Gattin desselben stammt mütterlicherseits aus dem alten, ehrenfesten Geschlecht der Knackmußen.

Das eigentliche Baugelände unserer Anstalt gelangte bereits am 23.Juni 1701 ganz in den Besitz der Familie Knackmußen. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts kam es zwischen dem damaligen Besitzer der „Modderkuhle“ Meister Friedrich Knackmußen und der Gemeinde Börgitze „zu einem lange angehaltenen und continuierlichen Streit“ über den Besitz eines „in der Gohrischen Wüsten – Feldmark – Wendisch – Börgitze genannt – belegenen Ackers.“ Knackmußen machte, wie es scheint, seine Ansprüche energisch geltend und zwar „vermöge eines in Händen habenden Kauf-Recessus vom 19.Juny 1645“, wonach sein Vorfahr „besagten Acker,“ der zum Schulzenhofe Börgitze gehörte, damals „erb- und eigentümlich“ erstanden haben sollte. - Die Gohrische Wüste – Feldmark“ umfaßte teilweise das Gelände des heutigen Pflegerdörfchens „Wilhelmseiche“; ferner das Land, das jetzt von den Herren Dettmar, Fomer, Lüders bewohnt wird.

Der von beiden Seiten mit Erbitterung betriebene Prozess führte endlich am 23. Juni 1701 zu einem Vergleich. In demselben verzichtete Meister Friedrich K. auf die bisher von ihm unterm Pflug gehabten 34 Ackerstücke in der „Gohrischen Wüsten – Feldmark“. Jedoch durfte er die bereits mit Hafer besäten 6 Ackerflächen abernten, sowie das von ihm in „Geil und Gare“ gebrachte Feld noch einmal pachten. Als Entschädigung dafür bekam das Mühlengut „das Land von dem alten Teichgraben an oberwehrts nach der Luthän´schen Feldmark zu, zum freyen Gebrauch hinwiederum angewiesen, hingegeben und überwiesen.“ Dieses Ersatzland dürfte das heutige Anstaltsgelände zwischen Kreischaussee und Bahnstrecke sein.

Die Knackmußen sind von jeher, ehrliche, fleißige und außerordentlich tüchtige Menschen gewesen, welche damals in vielen Dingen ihrer Zeit voraus eilten und bald zu bedeutendem Ansehen, sowie großem Wohlstande gelangten. Die Familie Knackmußen verfügt noch über verschiedene „Hof-Briefe der Modderkuhle“, die über die früheren „Besitz- und Inventarverhältnisse“ eine anschauliche – klare Sprache führen. Aus einem solchen „Hof-Brief“, ausgestellt anno Domini 1747, sei folgendes mitgeteilt:

„Von Trinitatis 1744 an übergab Meister Hannes Knackmußen seine Wasser- und Walkmühle, zur Modderkuhle genannt, mit allen Zubehörungen item an gegenwärtigem Vieh – Inventario: 5 Ochsen, 7 Kühe, 4 Rinder und 66 Stück Schafe seinem einzigen Sohn Johann Joachim.“

Derselbe ehelichte am 19. Mai 1747 Anne-Marie Görgens, die einzige Tochter des Hopfenhändlers Christian Görgens zu Wannefeld. Die blonde Anne-Marie war für die Mühle ein Goldvögelchen; denn sie brachte nämlich außer 500 harten, blanken Reichstalern (für jene geldarme Zeit eine ganz bedeutende Summe) und einer riesigen Wäscheausstattung mit in die Ehe:

„1 Pferd, 3 Kühe, 1 Ochstier, 30 Schafe als Schnucken und 10 jüste.“

Der Altsitzer Hannes Knackmußen und seine Ehefrau Sophrosyne nahmen an Vieh mit nach ihrem Altenteil:

„2 Kühe, 1 Rind, 30 Schafe.“

Hühner, Gänse, Enten, Schweine (!), welche es in großer Zahl auf der Mühle gab, werden in den „Hof-Briefen“ „weil geringes, nicht wertvolles Inventario“ niemals besonders aufgeführt.

O Du schöne, alte Zeit; in der wohlgerundete, speckglänzende Schweine für nichts geschlachtet wurden und der Reichtum der mit Schinken und Würsten gefüllten Räucherkammern der Talmühle schier unerschöpflich schien! Wie ein Märchen klingt es uns, welches wir Kinder einer sorgenschweren, entsagungsvollen Gegenwart – ach gar zu gerne hören. Der reiche Viehbestand der „Modderkuhle“ lässt darauf schließen, dass schon damals zum Mühlengut ein umfangreicher Landbesitz gehörte.

Die Besitzer der „Mühle im Grund“ standen überall in der Nachbarschaft im Ruf großer Gastfreundschaft. Ständig in ihrer Waldeinsamkeit lebend, liebten sie heitere Geselligkeit bei frohen Festen. Besonders erfreuten sich die von ihnen ausgerichteten Hochzeiten, wegen der daselbst herrschenden Gemütlichkeit und der gebotenen leiblichen Genüsse einer gewissen Berühmtheit.

Nach einem zweiten „Hof-Brief“ hatte beispielsweise der neue „Hofes-Wirth“ Hans Joachim Knackmußen die urkundlich festgelegte Verpflichtung, jeder seiner 2 Schwestern für den Fall ihrer Verheiratung zur Feier zu verabfolgen:

„1 Schlachtochsen, 2 Schlachtschweine, 3 Schlachthammel, 8 Tonnen Stark-Bier, 8 Gänse, 10 Hühner, 6 Scheffel Roggen, 4 Scheffel Weizen, 1 Fuder Holtz, ein Viert Salz, 1 Reichs-Thaler zum Reiß, 2 Reichs-Taler zum Branntwein, 16 gute Groschen zu Gewürze, 12 Reichs-Thaler zum schönen Ehrenkleide.§

Dies war nur die von dem Bruder der Braut zu bestreitende „halbe Hochzeit“. Berücksichtigt man, dass der Bräutigam die „andere Hälfte der Hochzeit“ in derselben Menge und Fülle leisten musste, so kann man sich einen Begriff von dem Umfang und der Intensität der Gasterei in der Mühle bilden.

Weit über 100 Gäste waren denn stets zur Hochzeit geladen, die sozusagen 1 Woche lang sämtliche Räume und Gelasse des Mühlengutes förmlich überschwemmten. Ihre Leistungsfähigkeit im Essen und Trinken muss unbegrenzt – beharrlich gewesen sein. 8 Tage schmetterten in den Abendstunden die Hörner, lockten die Geigen, brummten die Bässe, knarrten und schleiften die Schuhe der tanzfrohen Jugend auf der großen Diele der alten Talmühle. Wie manches Mägdlein lieb und fein verlor da sein Herz, das ein kecker Bursch fand und - - - treu bewahrte.

In den Mühlen aber herrschte in diesen Tagen tiefe Ruhe, dabei sich die Mäuslein recht wohlbefanden. Die Räder standen still mit frischem Birkengrün geschmückt; nur der Bach führte wie immer als unruhiger Geselle seine Wasser stromabwärts in die Weite. Droben, auf dem Dachfirst, stand im Gefühl seiner Würde als guter Hausgeist Freund Adebar, der Storch. Vergnügt klapperte sein langer roter Schnabel im Takt lustiger Tanzweisen, wobei er kritischen Blicks das Gewimmel sonntäglich – geputzter Menschen auf dem Hofe beschaute. So wartete er – wie ein treuer Wächter in luftiger Höhe sitzend – bis die Musikanten den „Kehraus“ bliesen; der Gäste Schwarm sich verlief, und das Rollen der letzten Wagen drüben am Waldessaum leise verhallte.

Der Wohlstand unserer Freunde in der „Modderkuhle“, welche von 1774 ab in den vorhandenen Urkunden kurz „Knackmuß“ genannt werden, stieg in den kommenden Zeiten stetig und, was die Hauptsache war, er behauptete sich. Die Söhne wussten als gute Haushalter mit weiser Sparsamkeit der Väter Erbe nicht nur zu besitzen, sondern dasselbe auch zu vermehren.

Und so ging der siebenjährigen Krieg, der den preußischen Landen und ihren Bewohnern überall furchtbare Wunden geschlagen, sowie unsägliche s Leid gebracht hatte, an der „Mühle im Grund“ selbst vorüber, ohne ihr wesentlich Schaden getan zu haben.

Die Grundlage dieser gefestigten Wohlhabenheit bildete in erster Linie die Walkmühle mit ihrer jährlichen reichen Bareinnahme...Ein volles Jahrhundert blieb sie Schirm und Hort der Familie Knackmuß in heiteren und trüben Tagen. Aus Magdeburg, Burg, Tangermünde, Neuhaldensleben, Salzwedel, Stendal, Gardelegen kamen zu jeder Jahreszeit, vorzugsweise jedoch im Sommer, die Weißgerbermeister mit ihrem Gesellenstabe, um in der Modderkuhler Walke ihre Häute zuzurichten.Von Stendal erschienen beispielsweise die alten Meister Stövert, Nicolai, Jacobi, Staude, welch letzterer der Vater des daselbst noch heut in großem Ansehn stehenden Justizrats Staude ist. Auch der Großvater des preußischen Ministers Fischbeck, der weiland als ehrbarer Gerbermeister in Magdeburg wohnte, walkte in jedem Frühjahr, sobald die ersten Lerchen schwirrten, seine Felle in unserer Talmühle. Unter den Magdeburger Meistern, die alljährlich die „Modderkuhle“ zu Walkarbeit aufsuchten, befand sich übrigens der Vater des in unserer Anstalt wohlbekannten Sattlereisters Ohage. Die Genossen der Mageburger Gerberzunft pflegten sich immer durch Gespanne des Mühlengutes abholen und zurückbringen zu lassen, was natürlich dem Müller Knackmuß nebenbei einen recht guten Gewinn brachte. Für die Hin- und Rückfahrt benötigten sie zusammen 2 Tage. Die Wagen fuhren über die hinter dem Provinzialgut nach Osten zu befindliche steinerne Uchtebrücke, die schöne mit hohen Birken bestandene „Seufzerallee“ entlang. Dann kreuzten sie den alten Fischerweg, auf dem in früheren Zeiten die Fischer von Tangermünde nach Gardelegen zogen, und kamen nach kurzer Fahrt, in etwas südlicher Richtung, in den jetzigen uns allen wohlbekannten Schnöggersburger Weg. Nun ging es über Schnöggersburg, Salchau, Dolle auf der Hauptchaussee nach Magdeburg.

10 bis 14 Tage blieben die Gerber, die ein lustiges Völkchen und bei allen Mühlenbewohnern, besonders aber bei den weiblichen Insassen, gerne gesehen waren, in der „Modderkuhle“; welche ihnen gegen angemessenen Vergütung, vorzügliche Verpflegung und Unterkunft gewährte. Während ihres Aufenthaltes schliefen sie in den Mühlenkammern auf Holzpritschen, da sie, echten Walfischfängern gelich gleich, nicht nur nach Fischtran dufteten, sondern auch ihre Kleidung mit dieser lieblichen Flüssigkeit derart durchtränkt hatten, daß sie überall in des Wortes wahrer Bedeutung festklebten.

In dem Gebäude der Walke befanden sich der Mühlenraum, eine große, saalartige Stube, sowie mehrere Kammern, die als Schlafgelegenheit für unsere Gerber und zur Aufbewahrung der vielen wertvollen Felle dienten.

Im Saal wurde auf 2 langen breiten Tischen, die gegerbten Häute geglättet, eingetrant und sorgsam gebündelt. Ferner war in demselben ein mächtiger Ofen erbaut, der im Winter zur Gluthitze gebracht und zur Trocknung der nassen Felle benutzt wurde. Der Mühlenraum sah eigenartig aus; in demselben standen 2 fünf Meter lange und ½ Meter breite eichene, teilweise mit Tran gefüllte Tröge, in welchen sich je fünf Stampfen aus Eichenholz au- und niederbewegten, die unten einen Umfang von 40 cm. im Quadrat besaßen. Diese Stampfen, welche eine einfache, aber sinnreiche Vorrichtung in Bewegung setzte, die ihren Antrieb von dem 5 Meter hohen Wasserade erhielt, fielen mit gewaltiger Kraft auf die im Tran der Tröge liegenden Felle, dieselben auf diese Weise 8 Tage lang bearbeitend. Das dabei entstehende Ratten und Stampfen soll so stark gewesen sein, daß es in Sommernächten bis nach Börgitz und Staats dröhnte.

Nach Beendigung des Walkprozesses suchte man die Felle durch Spülung im Wasser der Uchte vom Tran zu säubern und danach zu trocknen. Dasselbe geschah auf dem Trocknplatz, der südlich vom jetzigen Gutshof lag; dort, wo sich heut der hintere Gutsteich, sowie die Forellengräben befinden. Hier sah das Auge auf einer weite Wiese viele Holzpfähle zwischen denen Leinen gespannt waren, und auf welchen manchmal Tausende von Schaf-, Kalb-, Ziegenfellen lustig im Winde schaukelten.

Für das Walken von 1000 kleinen Fellen entrichteten die Gerbermeister 25 Taler, 7 gute Groschen.

Aber auch die Einnahmen der Mahlmühle sind stets als gut zu bezeichnen gewesen. Wie es in einem alten Wirtschaftsbuch der „Modderkuhle“ heißt gab es „vom Scheffel ein Metzen“. Die Mühle erfreute sich in der weiten Umgebung einer großen Berühmtheit. Denn einmal ging das Mahlen des Kornes sehr schnell von statten, ferner war das gewonnen Mehl fein und weiß und drittens wurde „ehrlich Maß“ gehalten.

Trübe Jahre brachen für die Mühle und ihre Bewohner mit dem Beginn der sogenannten Franzosenzeit an, die von 1807 bis 1813 währte. Preußen verlor in dem unglücklichen Tilsiter Frieden das Land westlich der Elbe, und unsere Altmark fiel als „Elb-Departement“ zum Königreich „Westphalen“. Kriegskontributionen, unerschwingliche Lasten, persönliche Bedrückungen und Kränkungen durch „königl. Westphäl. Beamte“ gehörten zur Tagesordnung.Der Feind stand auf geliebtem Heimatboden, die Heimat weinte. Am Landsberg bei Lüderitz befand sich ein großes Franzosenlager für welches sämtliche Dörfer, die dasselbe im weiten Umkreis umgaben, frohnen und Abgaben leisten mussten. So hatte z.B. das benachbarte Börgitz u.a. täglich 1 Tonne Branntewein, 1 Schlachtochsen zu liefern. Die „Modderkuhle“ wurde zu den Kriegskontributionen in ganz erheblichem Maße herangezogen. Nicht nur Schlachtvieh war seitens des Mühlengutes beizutreiben, sondern auch Brotkorn abzugeben. Insbesonderheit stellte unsere Mahlmühle den Franzosen am Landsberg den größten Teil des dort von ihnen gebrauchten Weizenmehls her. Die Mehlwagen fuhren mit ihrer kostbaren Ladung unter militärischer Bedeckung zweimal wöchentlich über Börgitz, Staats, Kröpel-Warte, Windberge nach dem französischen Lager. Auf Befehl des „westphälischen Unterpräfekten“ in Stendal gab das Mühlengut den dazu nötigen Vorspann. Das Begleitkommando bestand gewöhnlich aus einem Sergeanten und zehn französischen Jägern zu Pferde.

Im Jahre 1807 erhielt Christian Friedrich Knackmuß, geboren im September 1756, die Talmühle, indem er die Witwe seines im Januar desselben Jahres verstorbenen Bruders – Katharina Dorothea Langbein – des bisherigen „Hof-Wirtes“ heiratete. Christian Friedrich muß ein prächtiger Mensch, furchtlos und treu, en rechter Altmärker gewesen sein. Äußerlich von hoher Gestalt und großer Körperkraft, verband er mit einem scharfen Verstande ein warmes Herz. In seinen Sturm- und Drangjahren als echter Müllersmann weit im deutschen Vaterlande herumgekommen, hatte er endlich Handgeld bei den Preußen genommen, und es bei ihnen bis zum Korporal im Infanterieregiment von Kalkstein in Magdeburg gebracht. Die große Erinnerung seines Lebens blieb für ihn der Tag von „Pitzphul“! An demselben wurde er der Ehre teilhaftig – es war im Jahre 1783 – auf der „Pitzphuler Heide“ bei Magdeburg vor dem alten Fritz in glänzender Parade stehen zu dürfen. Das scharfe Blauauge des großen Preußenkönigs soll mit Wohlgefallen auf dem Korporal Christian Knackmuß geruht, und Se. Majestät denselben mit einer besonderen Anrede gewürdigt haben. Ja dieses denkwürdige Ereignis von „Pitzphul“ bedeutet eitel Sonnenschein im Leben Christians! Der Mann wuchs über sich hinaus, wenn die Erinnerungen an jenen herrlichen Augenblick ihn übermannte und er mit Begeisterung seinen stets andächtig lauschenden Zuhörern vom alten Fritz und dessen Taten erzählte. Seit jener Stunde in „Pitzphul“ ein glühender verehrer Friedrich des Großen; konnte Christian Friedrich als guter Patriot den Zusammenbruch Preußens, das Unglück seines Königs und seines ruhmreichen Heeres nie verwinden. Es glomm, es schwelte in ihm still und schwer der Hass gegen „Napolium“, gegen die Welsch- und Fremdlinge in der Heimat. Und wenn Meister Knackmuß nach Feierabend mit seinen Getreuen, dem Schulzen Wiebeck und dem Halbspänner Krischan Schulz, in der Gaststube des Krugs „zur Linde“ in Börgitz im trüben Schein einer halben Kerze zusammensaß, heftig politisierend, dann pflegte er regelmäßig zornentbrannt mit der Faust auf den Tisch zu schlagen und seinem Kumpanen Schulz zuzurufen: „Dat kann ick di segg´n, Krischan; ick un de olle Fritz hätt´n de Sok anners mokt!“

Dem Wassermüller und Korporal a.D. Wäre sein Franzosenhaß bald übel bekommen. Am meisten ärgerte er sich über die zu leistenden Mehllieferungen seiner Mühle für das Franzosenlager am Landsberg. Schon öfters hatte es deswegen zwischen ihm und den Franzosen Auseinandersetzungen gegeben, die aber bisher gutartig verlaufen waren. Als nun eines Tages der Führer des französischen Begleitkommandos aus bloßer Schikane das Weizenmehl, welches angeblich nicht fein und rein genug sein sollte, beanstandete, ja sogar in gallischem Über- und Hochmut in die Gottesgabe spuckte, da überfiel unseren Christian eine Berserkerwut! Ohne ein Wort zu sagen, fasste er mit Riesenkraft den kleinen, von frecher Eitelkeit geblähten Franzosen am Kamisol und bearbeitete in ausgiebiger Weise den glorreichen Hosenboden des tapferen französischen Helden mit seinen nervigen Müllerfäusten. Leider dauerte die Freude unseres Meisters nicht lange, denn auf das erbärmliche Geschrei ihres Häuptlings eilten die andern Chasseurs herbei und bald lag der Korporal des alten Fritz von zehnfacher Übermacht überwältigt, an Händen und Füßen hart gebunden, auf den Mehlsäcken der Proviantwagen, die ihn in schneller Fahrt nach Landsberg entführten. Nach einem kurzen Verhör durch den Lagerkommandanten, kam Christian Knackmuß nach der Festung Magdeburg, wo man ihm wegen tätlichen Angriffs auf einen Vertreter der ruhmreichen französischen Armee den Prozess machen wollte. Wochenlang saß Christian in strengster Einzelhaft in der Zitadelle der starken Elbfestung; sein Haar wurde weiß, schon glaubte er sein Leben verloren. Da erwuchs ihm in dem Grafen von der Schulenburg-Emden, der von seinem Schicksal hörte, in letzter Stunde ein Retter. Der Graf, welcher als Präfekt des Elbedepartements in Magdeburg wohnte, legte persönlich Fürsprache für Christian Knackmuß beim König „Immer Lustik“ (Jerome) in Kassel ein und erwirkte dadurch die Freilassung des Meisters der „Mühle im Grund“.

Als Buße für die Freveltat (!) mußte Meister Christian „200 Kurant-Thaler und vier Schlachtochsen“ entrichten, was er übrigens gern tag; denn es bereitete dem ehemaligen fritzischen Kriegsmann eine besondere Genugtuung, einem dieser französischen Spitzbuben – so nannte er ingrimmig „Napoliums“ Soldaten – das Leder weichgeklopft zu haben. Christian Friedrich Knackmuß war einer der besten „Hof-Wirthe“ in der „Mühle im Grund“. Durch Umsicht und Tüchtigkeit wußte er nicht nur die recht schweren Schäden der langen Bedrückungs- und Kriegsjahre auszugleichen, sondern auch das Mühlengut einer Zeit gedeihlichen Blühens entgegenzuführen.

An einem Vorfrühlingstage des Jahres 1840 starb der Haudegen im gesegneten Alter von 83 Jahren nach einem vielbewegten, arbeitsreichen Leben: Mit ihm sank ein ganzer Mann, ein letzter Vertreter jenes alten pflichtstarren, treuen Preußentums Friedrich des Einzigen ins Grab. - Als ich im goldenen Abendsonnenschein eines Märztages auf dem Gottesacker in Staats nach der letzten Ruhestätte unseres Helden forschte und dieselbe nach mühevollem Suchen endlich fand; da läuteten gerad auf dem verallenen Grabhügel des alten Korporals Schneeglöcken zart und fein den Frühling ein. Aus dem nahen Fliederbusch aber tönte einer Drossel Lied seltsam weich...lockend...durch die Stille des Abends, hoffnungsfreudig – lebensbejahend am Ruhplatz der Toten verhallend, verklingend.

Wie bereits angedeutet, besaß das Mühlengut eine umfangreiche Landwirtschaft. Der Rindviehbestand belief sich meistens auf 25 bis 30 Haupt und in den Ställen standen immer 10 bis12 Pferde, die tüchtige Arbeit tagsüber leisten mussten. Schweine wurden nur für den eigenen Bedarf gezogen und gemästet. Außerdem aber gab es in großer Zahl Gänse, Enten, Hühner aller Arten. Einen besonderen Ruf genossen bei den Junkern und Bauern der Umgebend die „Modderkuhler Enten“, deren Eier im Frühling einen gesuchten Kauf- und Tauschartikel bildeten. Ferner hielten die Talmüller in guten Jahren stets 300 bis 400 Schafe unter der Aufsicht und Pflege eines erfahrenen Schäfers. Die alte Schafwäsche der Mühle lag im sogenannten Budengraben; ungefähr 50 Meter oberhalb des kleinen Teiches, der die Südseite des Direktorgartens begrenzt. An der Waschstelle hatte man diesen Graben bedeutend verbreitert und die Uferböschung mit Feldsteinen befestigt. Die Schafwäsche der „Modderkuhle“ muß in den umliegenden Dörfern recht beliebt gewesen sein. Denn selbst aus Kloster Neuendorf, Trüstedt, Lindstedterhorst, Lindstedt, Seethen kamen die Bauern, um hier ihre Schafe zu waschen und zu scheren. Der Budengraben sammelt seine Wasser in den Wiesen, die sich vom Garten des Anstaltsdirektors bis zum Uchtspringer Süd-West- Bahnturm (der früheren Bude 99) ausdehnen. Dann strömt er, nachdem er den bereits genannten Teich durcheilte, unter der nach den Villen „32“ und „34“ führenden Chaussee entlang, umfließt die neue Weidenkultur und wird gegenwärtig in den Klärgraben gelenkt. Auch den Hopfenanbau betrieben die Moddekuhler Müller mit erheblichem Nutzen. Wie man aus alten Rechnungsbüchern ersieht, sind dabei Jahreseinnahmen bsi zu „2000 Kurant-Thalern“ keine Seltenheit. Ein Teil der Hopfendämme – 10 an der Zahl – befand sich auf dem Wiesengelände, südlich der Kreischaussee, gegenüber dem Gebäude „11“ und dem Barackenwäldchen. Die anderen Dämme lagen im „Ossen (Ochsen) winkel“. Damit bezeichnete die Familie Knackmuß das Land, auf dem die heutige Gutsgärtnerei angelegt ist. Von der Chaussee aus vermag ein aufmerksamer Beobachter die Lage der früheren 10 Hopfendämme mit Leichtigkeit festzustellen. Sie verliefen dort, wo heut die mit dichtem Weidenbusch bewachsenen vorderen Moorgräben zu sehen sind.

Vom Klärhof bis in die Nähe unserer Anstaltsbäckerei erstreckte sich die große Viehtrift des Mühlengutes, die der letzte Knackmuß in der Modderkuhle in fürsorglicher Weise mit einem Koppelzaun umgeben ließ. Hier weideten die Rinder und Schafe der Mühle größtenteils im Sommer, wenn sie nicht geradenin der Gohrischen – Wüsten – Feldmark, den Budengrabenwiesen oder im Weißgerberbusch auf Grasung standen. Der Weißgerberbusch breitete sich zwischen Fuchsgraben und Spitzbubenweg aus und fiel später der Gemeinde Börgitz zu. Sein Name ist eine Erinnerung an die Walkmühlenzeit der Modderkuhle. Zeitweise trieb man das Vieh bis in das Springgebiet der Uchte, welches ebenfalls der Familie Knackmuß gehörte und stets ihren besonderen Stolz bildete. Das Wort „Uchte“ ist germanischen Ursprungs und heißt im Altniedersächsischen „uhra“ - das „h“ gleich „ch“ - gesprochen. Es bedeutet: Der frühe Morgen, der Anbruch des Tages. Als „Uchta“ bezeichnete man den Bach schon im Jahre 1275. Die ersten Ansiedler unseresUchtetals sind angeblich aus Süden gekommen. Als sie am Nordrande der Letzlinger Heide einen neuen Fluß mit klarem Wasser und an seinen Ufern anbaufähiges Land fanden, waren für sie die Bedingunge zu einer neuen Lebensmöglichkeit gegeben und sie nannten unseren Bach, der ihnen dies alles erlaubte, mit vollem Recht „Uchte“ (Anbruch neuen Lebens!). Unser Springgebiet, in dem der Sage nach 70 Quellen rieseln – in Wirklichkeit zählt man über 100 – muß in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts außerordentlich sumpfig gewesen sein, sodaß es von Fußgängern nur unter großen Schwierigkeiten betreten werden konnte. Dem Schlammboden mit seinem dichten Unterholz etwuchsen riesige Stämme von Eichen, Buchen, Elsen, Föhren. In den Wipfeln derselben horsteten Fischreiher (Ardea cinera) und schwarzer Storch (Ciconicanigra), die in der Woerle und den anderen Moorflächen des Uchtetals genügend Nahrung fanden; ja, zur Fischräuberei sogar bis an die Elbe strichen. Der letzte schwarze Storch wurde 1876 in der nächsten Umgebung der Modderkuhle beobachtet. Fischreiher sollen noch in den Jahren 1892 und 1893 in der Tannenbreite, einem alten, hohen Föhrnwald, zwischen der Hottendorfer Chaussee und Luthäne, hortse gehabt und alltäglich zur Elbe geflogen sein. Ferner wies damals der mit Torfmoosen dicht bedeckte Sumpfboden des Quellengeländes ein interessantes Gewächs, den rundblättrigen Sonnentau (Drosera rotunidifolia) auf. Es it dies eine insekten- und fleischfressende Pflanze, welche heute bei uns vereinzelt – als Seltenheit – im Torfmoor des Schäferwaldes vorkommt.

Das Springgebiet, das bei den Leuten „der Mühle im Grund“ als verwunschen galt, bildete in früheren Zeiten einen beliebten Tummelplatz der Keiler und Bachen, die in Sommer- und Herbstnächten aus den umliegenden Forsten hier zusammenkamen. Und, wenn im tiefen Quellengrund die Schwarzkittel in stillen Mondscheinnächten ihre Feste feierten, wobei ihr Grunzen, ihr Schnauben wie unheimliches Getös bis weit in den Wald hinein und über Uchte, Wiesen, Woerle bis zur „Modderkuhle“ dröhnte; dann glaubte wohl manch junges wie altes Blut in der Talmühle an geheimnisvolles Umgehen böser Spukgeister am klaren Uchtespringe und die Schauer des Ortes mehrten sich. Etwa um die Mitte des verflossenen Jahrhunderts senkte sich im Springgebiet unserer Uchte, sowie an der angrenzenden Letzlinger Heide – dort ungefähr 1 ½ bis 2 Meter – der Grundwasserspiegel, was zur Folge hatte, dass der Boden des Quellengeländestrockner wurde. Dieses Fallen des Grundwassers führte man auf die Trockelegung des Drömlings, die in den Jahren von 1778 bis 1796 erfolgte und vor allen Dingen auf die großzügigen Meliorationsarbeiten im Gebiete des Ohre- und Mildelaufs zurück. Mit der Anlage der zahlreichen Tiefbrunnen für die Wasserversorgung unserer Anstalt, ging dann der Wasserstand im Springgebiet immer weiter zurück und es entschwand der bis dahin sichtbar gewesenen große, prächtige Hauptquell dem Auge. Derselbe soll 30 bis 35 Meter östlich vom Schillerstein aus dem Südhang des Uchtegrundes im Umfang eines starken Mannesarmes gesprudelt sein und im Spiel des Sonnenlichtes einen wundervollen Anblick geboten haben.

Eigentliche Fischzucht betrieben die „Hof-Wirthe“ der Modderkuhle in jenen Zeiten noch nicht. Die Uchte war nicht besonders reich an Fischen; jedenfalls fehlten die Forellen, welche in der Vorkriegszeit als Leckerbissen Gaumen und Magen so mancher Feinschmecker in Uchtspringe erfreuten. Außer einigen Weißfischarten und dem frechen Stichling gab es in unserem Flüßchen nur Krebse; diese jedoch in großen Mengen. Als aber in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts die Krebspest in den Gewässern Norddeutschlands die Krebsbestände vernichtete, da verschwanden die wohlschmeckenden Krustentiere auch aus der Uchte. Im Frühjahr belebten für einige Zeit Schwärme von wilden Gänsen, Züge von Kranichen und Wildenten die Wasser und Sümpfe der Woerle und des Uchtetals. Unter den letzteren befanden sich vorzugsweise Löffel- und Krickenten. Auf den Wiesen des Mühlengutes trieb der Kiebitz sein Wesen, die scharfe Frühlingsluft mit seinem heiseren „Kiewitt“ erfüllend. Große und kleine Leute der „Mühle im Grunde“ mochten seine Eier gern und spürten denselben überall nach. Wenn dann der scheue Vogel mit Geschrei vor ihnen herflog, so pflegten de Mädchen seine Rufe recht drollig zu deuten: „Kiewitt, wo bliew ick? In´n Brummelbeerbusch, da sing ick, da spring ick, da hebb´k mine Lust!“

Die Familie Knackmuß besaß als uralte Gerechtsame seit Jahrhunderten „das freye Jagdrecht“ auf eigenem Grund und Boden. Der zum Mühlengut gehörige Wald zeigte, infolge seiner Nachbarschaft zur weiten Letzlinger Heide und zu den von Kröcherschen Forsten, einen reichen Wildbestand. Außer Hasen, Rehen, Hirschen, Wildschweinen kam Raubzeug jeglicher Art darin vor; welch letzteres manchmal dem Geflügelhofe der Talmühle einen unerwünschten Besuch abstattete. Unter dem Raubgesindel dominierte Reinecke Fuchs (Voß). Der Voßberg muss sein Lieblingsaufenthalt gewesen sein, den er früher in großer Zahl bevölkerte. Darauf deutet wohl auch der Name des Fuchsgrabens hin, welcher in dem tiefen Moor des Schäferwaldes entspringt und südwärts zur Uchte fließt, an der Ostseite des Weißgerberbusches entlang, diesem die Grenze bildend. In manchen Wintern mußten oft über hundert der roten Räuber dem Müller Knackmuß und seinem ersten Müllerknappen Leben und Balg lassen. Damals galt der Fuchsbalg „10 bis 15 Groschen“. Im Winter 1919/1920 zahlte ein Händler dem jetzt verstorbenen Forstwart Schulz, der ein eifriger Nimrod war, für ein Fuchsfell „500 Mark“. O Wandel der Zeiten!

Ein großer Betrieb, wie ihn das Mühlengut darstellte, erforderte selbstverständlich ein zahlreiches Personal. In guten Jahren sind auf der Modderkuhle stets 5 Knechte und daneben 3 bis 4 Mägde tätig gewesen, außerdem schafften Müller und Müllerin tüchtig mit. Das Leben ging Sommer und Winter seinen streng geregelten Gang. Im Sommer wurde um 3 Uhr; im Winter zwischen 4 und 5 Uhr morgens aufgestanden. Zu den Hauptmahlzeiten rief eine kleine hölzerne Klappermühle, die unmittelbar neben der Haustür ihren Stand hatte und die Stelle einer Hofglocke vertrat. Sobald die Mühle ihr Klappern ertönen ließ, eilten Knechte und Mägde, Meister und Gerbergesellen zu den wohlgefüllten Fleischtöpfen der Modderkuhle, um ihren Hunger zu stillen und den müden Leib zu laben.

Selbst die Tiere des Mühlenhofes, wie Hühner, Gänse, Enten, Katzen und Hunde kannten die Bedeutung des Knarrens der Klappermühle und stürzten auf ihr Geräusch zur Haustür, ihren Tribut heischend. Eine derartige Vorrichtung schaute man noch bis vor einigen Jahren auf dem Hofe des Vorwerks Wendisch-Börgitz im Betrieb. Sie war auf einem Holzpfahl dicht neben der zweiten Haustür des dortigen Vogthauses befestigt.

Die Kost, welche es in der Modderkuhle gab, muß den Berichten nach gut zubereitet und nahrhaft gewesen sein. Herrschaft und Gesindeerhielten ohne Unterschied stets dasselbe, was von einem hohen sozialen Sinn der Talmüller zeugt. Der Haushalt des Mühlengutes deckte seinen Bedarf einzig und allein aus den Erträgnissen der Wirtschaft und der Jagd. Was Garten, Feld, Wald, Viehstall und Geflügelhof im Lauf des Jahres darboten, das erschien gekocht oder gebraten für die zahlreichen Esser auf dem großen, eichenen Familientisch der Knackmußen. Wie schön und patriarchalisch das Verhältnis zwischen „Hof-Wirth“ und Dienstboten war, zeigte sich besonders bei diesen gemeinsamen Mahlzeiten. Die Müllerinnen vermochten vorzüglich zu kochen und ihr Ruf, gute Köchinnen zu sein, drang bis nach Stendal. Von der Schmackhaftigkeit der von ihnen eigenhändig zubereiteten Gänseleberpastete wußten beispielsweise die Mitglieder der Uchteaukommission ein begeistertes Loblied zu singen. Unter Führung des Stendaler Landrats erschien besagte Kommission in jedem Frühling in der „Mühle im Grund“, um daselbst Einkehr und Atzung zu halten. Und der alte Landrat von Bismarck besaß eine leidenschaftliche Vorliebe für das Frühlingsgericht der Modderkuhle – Krüderkohl genannt – welche Mutter Knackmuß mit besonderer Kunst anzurichten verstand. Dasselbe setzte sich zusammen aus einem Gemisch von Sauerampfer, Gundelreben, Rapünzchen, Nezzel, Sprossen von Maiblatt und Braunkohl mit Schweinefleisch. - In den bäuerlichen Haushalten der damaligen Zeit machten sich die Hausfrauen bei der Zubereitung der Speisen nicht so viel Umstände. Vielfach wurde daselbst für mehrere Tage gekocht, die Qualität war Neben-, die Quantität Hauptsache. Eine Bäuerin in dem benachbarten Staats soll mit einem gewissen Stolz ihren gerade anwesenden Freundinnen 18 Schüsseln (!) mit gekochten Kohlrüben als fertige Speise für das Gesinde gezeigt haben. Nach meinem Dafürhalten muss das Vertilgen der „18 Näpfe Kohlrüben“ als stilles Heldentum bezeichnet werden, zu welchem aufzuschwingen ich mich persönlichmaber unfähig fühle. - Das Kaffeetrinken ist noch in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in der „Mühle im Grund“ nicht üblich gewesen. Darum wundert es mich nicht, wenn das Gesinde der Modderkuhle das edle braune Getränk mit dem lieblichen Duft in jener Zeit nicht einmal zu genießen verstand. Auf dem Mühlengut lebte in diesen Jahren als erster Müllerknappe ein gewisser Schnuchert, der zugleich die Jägerei mit versah. Dieser Schnuchert war als „Fuchstöter“ weit und breit berühmt und erfreute sich bei den Jüngern St. Hubertus in der Heide wegen seines freundlichen Wesens und des fabelhaften Jägerlateins, das er verzapfte, einer großen Beliebtheit. Als er eines Tages in der guten Stadt Gardelegen weilte und im „Schwarzen Bär“ einen warmen Trank verlangte, bekam er eine Tasse mit schwarzem Kaffee vorgesetzt. So etwas hatte der alte Bursche nie getrunken und misstrauisch – verlegen saß er vor dem Zaubertrank. Endlich versuchte er denselben auszulöffeln; als ihm dies doch zu umständlich erschien, murmelte er – mit Bauernschläue um sich blickend: „Wenn ich wüßt, dat det keener säh, ick söp em ut!“

So anspruchslos uns die vorstehenden kleinen Begebenheiten erscheinen mögen, so besitzen sie vom kulturgeschichtlichen Standpunktaus betrachtet, einen gewissen Wert. Beleuchten sie doch anschaulich die kulturellen Zustände der Modderkuhle und unseres Landschaftsgebietes um die Mitte des 19.Jahrhunderts. Die freie Zeit, welche Mühlenbetrieb und Landwirtschaft nicht in Anspruch nahmen, benutzten die Leute der Talmühle zu Herstellung von allerlei nützlichen und notwendigen Gegenständen, die in unserem Zeitalter fertig gekauft werden. Zu dieser Hausindustrie der Modderkuhle gehörte zum Beispiel die Anfertigung der Talglichter, die noch vor 80 Jahren allgemein zu Beleuchtung der Wohn- und Mühlenräume unserer Talmühle dienten. Das Herstellen der Dochte aus selbstgesponnenem Garn geschah an einem der langen Herbst- und Winterabende, denn bis in den Winter heinein musste der vorjährige Lichtvorrat reichen.

Der Zauber der heiligen zwölf Nächte ist angebrochen. Eine schwarze Dezembernacht sinkt hernieder. Hu, der Sturmwind braust heulend durch das Uchtetal, peitscht mit Eisschlacken untermischten Regen dem von der Jagd auf dem Luthäner Berg heimkehrenden Meister Knackmuß ins Gesicht und pfeift in grausigen Tönen durch die Schornsteine, Bodenluken und um die Giebel der Modderkuhler Mühle. Die uralten Eichen rings umher ächzen und stöhnen; die Gartentür, die nach dem Ossenwinkel führt, knarrt in den Angeln. Dann und wann heulen die Hunde des Mühlenhofes und aus der Ferne, vom Heidberg herüber, antwortet schaurig das heisere Bellen der Füchse. … Der Sturm tobt mächtiger, Schnee wirbelt lustig über Woerle und Uchte. … Ein Wetter ist´s, wie es nur in den zwölf Nächten sein kann, wenn Woda mit der wilden Jagd und der Frau Berchta durch die Lüfte über das Tal braust und auf faule, böse Menschen Jagd macht. Wahrhaftig, draußen scheint´s jetzt nicht geheuer! - Früher, vor langer, langer Zeit gingen Knechte und Gesellen der Modderkuhle in dieser Spukzeit zur alten Kathrin, die auf dem Katharinenberg, in der Nähe der Talmühle,südöstlich der Uchte, im dichten Tannenwald, ihr Häuschen besessen haben soll und holten Wieswuchs und andere bannende Kräuter, welche sie in Bündeln über Mühlen- und Stalltüren hängten, damit die Kobolde ihnen nichts anhaben könnten. Seitdem aber die hexenhafte Kathrin in einer fürchterlichen Spuknacht elend verbrannte und ihren letzten Schnaufer tat, gab´s dergleichen Bannkraut nicht mehr für die Mühle im Grund.

Die Bauern in Börgitz und Staats fürchteten und hassten das alte Weib auf seinem einsamen Berg wegen seines „bösen Blicks“ und zänkischen Wesens und mieden es. - Wenn ein Gebannter, den die Menschen nicht lieben, auf böse Art zugrunde geht, dann ist es ganz in Ordnung gewesen, und gute Christen sagen im scheuen Glauben an die Dämonen, der Teufel hat ihn geholt. Als der Morgen kam und Glockenklang den Zauber jener Todesnacht der gebrochen und die Menschen zur Mette nach dem Kirchlein Staats gerufen hatte, da ging ein Flüstern, ein befreiendes Aufatmen durch die Gemeinden. - Die alte Hexe war also tot und nun galt es für das Gesinde der Modderkuhle doppelte Vorsicht zu üben. Ängstlich verriegelten Knechte und Mägde die Türen in der kritischen Zeit der zwölf Nächte und blieben fein – sittsam.

Aber je ärger heut draußen Sturm und Graus ihr Wesen treiben, desto gemütlicher und behaglicher ist es in der großen, warmen Wohnstube der Modderkuhle. Während das Spinnrad der kleinen fleißigen Haustochter „Wine“, da rückt der Meister und „Hof-Wirth“ Knackmuß sich in dem bequemen ledebezogenen Lehnstuhl zurecht und erzählt, seine Pfeife schmauchend, den aufmerksam lauschenden Zuhörern von seinen Jugendjahren und Wandefahrten, die Stimmung der arbeitenden Hausgenossen belebend.

Die Müllerin aber teilt an die Kinder, die anwesenden Knechte und Mägde zum Dochtflechten Garnsträhne aus, die alsdann auf den spitzen, hölzernen Lichtspießen, die zwischen Stuhllehnen eingeklemmt sind, geflochten werden. Der Abend vergeht schnell, für alle anregend. Herrschaft und Gesinde begeben sich zur Ruhe, das Licht erlischt in den Kammern und dunkel liegt die Mühle im Talgrund der Uchte. Mag auch draußen das Unwetter toben und der Regen klatschend gegen die Fensterscheiben schlagen, die Bewohner der Modderkuhle fühlen sich sicher – geborgen unter ihrem altersgrauen festen Dach. Am nächsten Tag räumte man in der Frühe die Stube aus, sie sollte als Lichtziehwerkstatt dienen. Auf langen Gestellen, die aus Latten bestanden,welche man auf hölzerne gelegt hatte, lagen die Lichtspieße mit je 10 – 12 Dochten und in der Mitte der Stube stand eine 40 cm hohe und 60 cm breite Wanne, die mit geschmolzenem Talg gefüllt war. In diesem wurden die an den Spießen hängenden Dochte vorsichtig, damit sie nicht zusammenklebten, herabgelassen und nach kurzer Zeit wieder auf die Gestelle gehängt. Waren sie dann abgekühlt, so tauchte man sie aufs neue ein und setzte dies solange fort, bis die Talglichter die gewünschte Dicke erreichten. Darunter gab es aber eine Art „Proletarier“, die nur einmal in den Talg getaucht worden waren, „Phrasen“ genannt, die man zum Umhergehen in dunklen Räumen benutzte. Obgleich so die Beleuchtung nichts an baren Auslagen erforderte,ward doch in der Modderkuhle sehr sparsam damit umgegangen. Da saßen die Kinder bei einem einzigen Licht am langen Tisch der großen Wohnstube und erledigten ihre Schulaufgaben, während von dieser Beleuchtung auch noch der das „Altmärkische Intelligenz- und Leseblatt“ studierende Meister und die weitab sitzenden, ihre Spinnräder tretenden Frauen – die Hausfrau mit den Mägden – davon profitieren wollten.

Und doch ging das bei der winzigen Lichtquelle ohne Murre und Klagen. Nur, wenn der Docht in der Flamme zu lang wurde, trat die Lichtputzschere in den Dienst; ein Gerät, das man jetzt einzig und allein im Museum antrifft. In späterer Zeit kamen in der Mühle Zinnlampen zur Benutzung, die man mit Rüb- oder Leinöl füllte; bis dann Mitte der siebziger Jahre vergangenen Jahrhunderts die erste Petroleumlampe in der Modderkuhle ihren Einzug hielt.

Eine andere Art des Hausfleißes in der Talmühle war das Spinnen von selbstgebautem Flachs und von Schafwolle. Ja die Fertigkeit des Spinnens bildete man fast zu einem Sport aus. Die Mägde der Modderkuhle saßen im Winter bereits um 5 Uhr morgens am Spinnrad, spannen häufig in Akkord und es gab Spinnerinnen, die ihre Aufgabe, eine bestimmte Anzahl Faden feinen Gespinstes in der Woche zu liefern, so schnell lösten, dass sie durch dies „Dingen“, wie sie es selbst nannten, 1 ½ bis 2 Tage frei hatten. Die Hausfrau stellte ihre Leistung durch ein Zahlenhaspelholz fest. Der Umkreis desselben betrug genau 6 Fuß und zeigte nach hundert Umdrehungen der Haspel dies auf einem Ziffernblatt an; machte wohl auch durch den Schlag eines hölzernen Hammers darauf aufmerksam. Dieses sonderbare Meßinstrument bekommt man wohl heut nur noch in Altertumssammlungen zu sehen. Das Spinnrad dagegen erwachte aus langem Dornröschenschlaf und trat in vielen Bauernhäusern erneut den Weg aus der Rumpelkammer nach der Wohnstube an, wo wieder fleißig gesponnen wurde. Denn in der Not des Weltkrieges erlebte gerade dieser Zweig der bäuerlichen Hausindustrie in den ländlichen Haushalten eine fröhliche Auferstehung. Die Modderkuhle, die bereits vor Jahrzehnten der Spitzhacke zum Opfer fiel, sah dieselbe nicht mehr.

Manchmal ein wenig underlich; voller Schroffheit und Kanten, so stellt sich uns das persönliche Christentum der Knackmußen dar. Es besaß Bodenständigkeit und atmete etwas von dem herben Erdgeruch der Scholle, die ihr Pflug seit Jahrhunderten umwarf. Obwohl sie zu ihrem Herrgott in einem besonderen Verhältnis zu stehen schienen, sind die Bewohner der Modderkuhle zu jeder Zeit bibelfeste Christen und fleißige Kirchgänger gewesen, an denen die Engel im Himmel, sowie ihre Pfarrer eine ungetrübte Freude haben konnten. Eingepfarrt und eingeschult war die Wassermühle nach Staats; allwo auch das alte Müllergeschlecht auf dem dortigen Friedhof zum letzten, ewigen Schlaf gebettet ist. Die Talmüller hielten es als kirchentreue Leute stets mit der Geistlichkeit, worunter sie Pastor und Kantor verstanden, denen sie mit besonderer Ehrfurcht begegneten. Wenn die geistlichen Herrn besuchsweise in die Modderkuhle kamen, wurden sie von dem „Hof-Wirth“, nebst seiner Frau mit großer Freude bewillkommnet und reich bewirtet.

Und mochten sie bei ihrem Einzug in die Talmühle – wie weiland Jakob über den Jordan – leichten Fußes nur mit einem Stecken über die Uchte gegangen sein; die Gastfreundschaft der Knackmußen bewirkte es, daß die hochwürdigen Gäste mit irdischen Schätzen schwer beladen, die wunderbare Tafelfreuden zu spenden verhießen, jetzt langsam fröhlichen Gemüts ihrer friedlichen Klause im benachbarten Staats zustrebten.

Die Bewohner der Modderkuhle hatten ihre eigenen Kirchsteige, auf denen sie zu den Gottesdiensten und Abendmahlsfeiern in Staats wanderten. Die genaue Feststellung derselben bot außerordentliche Schwierigkeiten. Endlich gelang es mit vieler Mühe zu ermitteln, daß für die Mühle im Grund nur zwei Kirchwege in Frage kommen. Und zwar ein solcher der älteren Generation, der ungefähr von 1642 bis 1861 zu diesem Zweck Benutzung fand und ferner ein neuerer, der von 1861 bis 1888 von den Knackmußen begangen worden ist. Der ältere Steig verließ das Mühlengut dort, wo sich heut die Wohnung des Hofmeisters befindet. Dann verlief er am Nordufer der Uchte, an der Spitzbubenbrücke vorüber und durch den ganzen Campbusch, immer auf dem linken Uchteufer bleibend. - Campbusch heißt jener alte Eichenbestand, welcher sich nahe dem Weißgerberbusch und der Spitzbubenbrücke, nördlich der Uchte alleeartig ausgedehnt. - Ungefähr am östlichen Ende des Campbusches verband ein einfacher hölzener Laufsteg beide Uchteufer. Nun führte der Pfad über das sanft ansteigende Wiesengelände zum Katharinenberg hinüber, um weiter nach Osten dem noch heut vorhandenen Feldweg zu folgen, der sich hinter Börgitz und Staats entlang zieht. In Staats mündete er unmittelbar auf dem Friedhof, nachdem von ihm vorher die südwestlich vor dem Gottesacker liegenden Gärten durchquert worden waren. Der neuere Steig hatte bis zum Ende des Campbusches denselben Verlauf wie der zuerst beschriebene Weg. Danach ging´s über eine kleine Steinbrücke des Fuchsgrabens, sowie über die nördlich von demselben befindliche kleine Wiese bis zur Beeke. Jetzt wanderte man auf einem nach Osten führenden Wiesenpfad, den rechter Hand die Beeke begleitete, bis zur Börgitzer Wassermühle. Von hier aus verfolgte der Kirchweg nordöstliche Richtung, quer durch die dort befindlichen Ackerpläne und stieß bei dem heutigen Müllerschen Gehöfte auf die südliche Seitenstraße der Gemeinde Börgitz. Die Kirchsteige dienten nur den kirchlichen Gängen der Bewohner unserer Modderkuhle; auf ihnen zog die Jugend zur Schule und zur Betstunde, wie man den vom Pastor erteilten Konfirmandenunterricht nannte. Der Kirchweg gehörte somit den Lebenden; während die Toten ihre letzte Fahrt auf der alten sandigen Landstraße, die im allgemeinen in der Richtung der heutigen Kreischaussee verlief und weiterhin durch die Dorfstraßen von Börgitz und Staats zum Ruhplatz antraten.

Der Kirchweg der jüngeren Generation der Knackmußen ist aber noch heutigen Tages von der Spitzbubenbrücke aus, durch den Campbusch und über den Fuchsgraben hin gangbar. Eine Wanderung auf demselben kann allen jene Börgitz-Pilgern empfohlen werden, die Freunde der Einsamkeit und eines sinnigen Naturgenusses sind.

Trotzdem der Name „Modderkuhle“ wenig schön und in gesundheitlicher Hinsicht recht übel klang, erreichten die Bewohner der alten Talmühle meistens ein hohes Alter. Der stille Mann mit Hippe und Stundenglas mußte oft lange warten, ehe er ein altersschwaches Mütterlein oder einen arbeitsmüden Greis aus der Sippe der Knackmußen abberufen konnte. Vor mir liegt ein Auszug aus dem Kirchenbuch von Staats, die Familie Knackmußen betreffend und mit dem Jahre 1679 beginnend. Danach zu urteilen, durften die „Hof-Wirthe“ nebst ihren Frauen zumeistdas biblische Alter überschreiten, ehe sie der Mühle im Grund Valet sagten. Sinnend ruht das Auge auf der langen Namenfolge, die über zwei Jahrhunderte umfaßt. Aus dieser Namenreihe lesen wir heraus, was als Unterton herausklingt aus aller Geschichte mit ihrem ewigen Wechsel und Wandel: „Alles Ding währt seine Zeit...!“ Doch hören wir was vergilbte Blätter des Kirchenbuchs berichten. Im Dezember 1671 starb der Walkmüller Hans Knackmußen aus der Modderkuhle im Alter von 96 Jahren. Ein Hannes Knackmußen segnete diese Zeitlichkeit 86 Jahre alt anno 1766; während sein Eheweib Sophrosyne mit 75 Jahren 1767 verstarb. Johann Joachim Knackmußen verliess die Jämmerlichkeit der Welt 1797 im Alter von73 Jahren und die ehemals blonde Annemarie, geb. Görgens, starb 1805 als hochbetagtes Mütterchen – 74 Jahre alt. Christian Friedrich, der alte Korporal, ging 1840 mit 88 Jahren zu großen Armee.

Mehrere Jahre hindurch deckte man den Ausfall teilweise durch gesteigerte Einnahmen der Mahlmühle. Mit der Zahl der sich stetig vermehrenden Wind- und Dampfmühlen ging selbst diese Einnahmequelle zurück. Die Landwirtschaft des Mühlengutes vermochte auch nichts mehr zu retten, da für den Bauer Notzeit war und die Modderkuhle etliche Mißernten hatte. Als ferner der Bau der neuen Kreischaussee (1883/84) hohe Abgaben des Gutes bedingte, dazu jahrelange Krankheiten der Familienglieder den Wirtschaftsbetrieb lähmten, so sah sich der letzte „Hof-Wirth“ Johann Knackmuß, geb. am 22.6.1839, blutenden Herzens genötigt, das ihm so teure Besitztum, auf dem seine Vorfahren seit Jahrhunderten gelebt und gewirkt hatten, im Jahre 1888 an einen Herrn Loburg aus Magdeburg zu verkaufen.

Johann Knackmuß konnte den Verlust des väterlichen Erbens nie verwinden, durch das Leben des treuen Mannes klaffte seitdem ein nie verheilender Riss. Er fühlte sich entwurzelt und um seines Lebens Inhalt gebracht. 20 Jahre lebte er still-friedlich in Börgitz und Staats Wenn aber am Sonntag Morgen der Glocken Töne vom nahen Staatser Kirchlein über Felder, Wiesen und Waldgrund schwebten, erwachte in den Herzen des alternden Mannes eine tiefe, heilige Sehnsucht nach der verlorenen Scholle, die ihn unruhig werden ließ und auf den alten alten Kirchsteigen seiner Sippe zur geliebten Modderkuhle trieb. Mit heißen Augen, brennendes Heimweh in der Seele, schaute der alte Talmüller am Waldrand stehend, das geschäftige Treiben der neuen Zeit auf dem alten Mühlenhof. Als eines Tages Vaterhaus und Mühle zu Schutt sanken, die Stätten seiner Jugendsehnsucht und Liebe, seiner heißen Manneskraft verschwanden, als das Klappern der Räder, das Rauschen der Wasser am Uchtewehr verstummte, da brach das treue Herz. Nahe der Kirche zu Staats ruht der letzte „Hof-Wirth“ der Modderkuhle, im Tode vereint mit all den Frauen und Männern seines Geschlechts.

Ungunst und Wechsel der Zeit zerstörten, was sie geschaffen.

Sie, die im Leben gekämpft, ruhen im Tode nun aus.“

-Ende-

Schriftleitung: Anstaltspfarrer Roemer, Uchtspringe

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