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"Das russische Leibgericht"

Eine heitere Geschichte aus der ehemaligen Moddermühle im Uchtetal

  • heimatkundlicher Beitrag von Alfred Schenk, Köthen

Eine humorvolle Heimaterzählung, die dadurch das besondere Interesse finden dürfte, dass die in der Plauderei erwähnte Moddermühle bis zum Bau der Landesheilanstalt Uchtspringe vorhanden war.

Erwähnt sei noch, dass das alte Müllergeschlecht der Knackmußen von 1688 (lt. dem älteren Bericht von Schenk jedoch noch gut 100 Jahre früher) bis 1888 auf der Mühle saß und arbeitete. Der Verfasser unserer Plauderei hat übrigens vor längerer Zeit auch die Geschichte jener Mühle geschrieben.

In Schnee gebettet lag die alte Wassermühle „Zur Modderkuhle“ im Talgrund der Uchte - abseits der vielbefahrenen großen Kreisstraße Stendal - Gardelegen. Man schrieb den Januar 1814 und es war böse Zeit! Fremde Kriegsvölker durchzogen die Altmark, und, wenn es auch unsere Bundesgenossen waren, so führten sie sich oft so auf, daß die altmärkischen Bauern nicht immer Freude und Wonne an ihnen fanden.

Seit Tagen hatte es unaufhörlich geschneit. Dicht und leise waren die Schneeflocken gefallen und hatten bald Felder, Wiesen und Wälder in eine weiße Daunendecke gehüllt. In der Nacht nach St. Hilarius (Hilarius von Poitiers, 13. Januar) trat plötzlich starker Frost ein und überzog erbarmungslos die bis dahin lustig plätschernde Uchte mit einer festen Eisdecke. Still stand nun das große Mühlenrad und feierte, während die langen Eiszapfen wie Wodansbärte an Radspeichen und Dächern hingen.

Christian Friedrich Knackmuß, der alte Talmüller, saß mühselig schreibend in der Wohnstube. Die braune Kastenuhr hatte eben mit langsam feierlichen Schlägen die zweite Nachmittagsstunde verkündet. Es roch nach Bratäpfeln, die in der Ofenröhre schmorten. Vor dem Alten lag das große, arg abgerissene Wirtschaftsbuch in das er mit kratzendem Federkiel, die Lippen leise bewegend, seine Eintragungen machte.

Ab und zu hielt er mit dem Schreiben inne und schaute durch die kleinen Fensterscheiben in den Hof, wo zwei hungrige Krähen sich um einen alten Knochen stritten. Endlich war seine schwere Arbeit getan. Christian Friedrich Knackmuß lehnte sich behaglich zurück; wohlgefällig betrachtete er die langen Zahlenreihen der Einnahmeseiten. „Ja, es war trotz der nicht leichten Kriegszeit ein gutes Jahr gewesen“, murmelte er. Auch in der Hofwirtschaft stand´s nicht schlecht. Drei Schweine hatte man im November vorigen Jahres schlachten könnten - groß, schwer und fett! Das tägliche Brot war also da und - noch etwas mehr. Der alte Müller klappte das Buch zu und legte es in den birkenen Wandschrank.

Plötzlich schlugen die Hunde auf dem Vorplatz an und rissen wild an ihren Ketten. Die Krähen flogen schwerfällig auf. Auf den Mühlenhof ritten sieben russische Kosaken. Behend schwangen sie sich von ihren Pferdchen und kamen laut gestikulierend auf das Haus zu.

„Donnerwetter, schon wieder eine Einquartierung und noch dazu solch lausige Russen“, knurrte Christian Friedrich Knackmuß und trat, sich die Jacke zuknöpfend, vor die Tür. Bald hatte er sich mit seinen ungeladenen Gästen verständigt und sie untergebracht. Sie ließens sich wohl sein in der alten Talmühle! Ihr Appetit erschien ungeheuer, unser Christian Friedrich kratzte sich manchmal bedenklich auf dem Kopf. - Die lieben Kerle fraßen in unheimlicher Weise von den Speckseiten und aus den Schmalztöpfen der Müllerin, daß bald nichts mehr im Rauchfang hing.

Am schönsten schmeckte den russischen Lederfressern das „schwarzsauer“ welches sie täglich bekamen. Meister Knackmuß hatte dieses köstliche Gericht auf seinen Wanderfahrten durch Schleswig-Holstein kennen und schätzen gelernt und es mit nach seiner altmärkischen Heimat gebracht.

Wenn die Russen die dicken, weichen, behaarten Schweineschwarten schmatzend herausfischten, grunzten und grinsten sie wollüstig. Als jedoch bei ihrem Riesenhunger nach einigen Tagen Speck und Schmalz alle waren und die Talmüllerin eine Suppe ohne Speck und Schmalz auf den Tisch stellte, warfen die wilden Steppensöhne die gefüllte Schüssel durchs Fenster auf den Misthaufen der Modderkuhle und brüllten im Chor: „Swattsuur - Swattsuur!“ Denn so viel altmärkisches Platt hatten sie inzwischen gelernt. Schreiend und polternd drängten die langbärtigen russischen Kriegsknechte in die Küche, allwo der Müller und seine Frau, Winchen (Das müsste eine Verwechslung sein, in der Chronik erwähnt Schenk eine Haustochter „Wine“, die Frau von Christian Friedrich hieß Catharina Dorothea Langbein und war vorher mit dem vorherigen Müller, seinem Bruder verheiratet gewesen. Oder aber, Catharina ist gestorben und Christian Friedrich hat dann die Haustochter geheiratet?) saßen und ihren Mehlbrei löffelten.

„Swattsuur - Swattsuur!“ grölten die Sieben in allen Tonarten. Wie sehr sich auch Christian Friedrich und seine Frau bemühten, ihnen klarzumachen, dass es mit dem „Swattsuur“ vorbei wäre, weil sie dazu keine Zutaten hätten - was half es. „Swattsu-u-ur!“ brüllten eigensinnig die Kerle. Einer riss dabei den Säbel aus der Scheide, ein anderer lud sein Gewehr und legte es auf den Müller an. „Swattsu-u-ur!“ orgelte es in russischen Kehllauten diesem wild entgegen. Es war ein Höllenlärm!

Knackmuß stand breitbeinig vor der die Waffen schwingenden Horde. Eine Zornesader schwoll steil auf seiner Stirn: seine Fäuste ballten sich. Er wollte aufbegehren - da schoss ihm etwas durch den Sinn - er überlegte sekundenlang. - Plötzlich lachte er laut auf. Fröhlich streckte er den Kosaken die Hände zu Frieden entgegen. „Wull-wull-Swattsuur!“ Händereibend und befriedigt nickend schlurften die Kerle in die Wohnstube. „O Mann, wo willst du den Speck herschaffen. Das bisschen Blut, das wir noch haben, reicht dazu nicht mehr!“ Christian Friedrich sagte kein Wort, sondern guckte seine Eheliebste nur mit schrägem Blick an. Stumm ging er zum Schleifstein im Hofe.

„Hol mir mal die Sündagsbüx rut in de Kök“ kommandierte er plötzlich. Während seine Frau die Büx aus der Kammer holte, schliff er pfeifend seine Messer. In dem Hausflur dann gemütsruhig die englischlederne Kniehose aus und die lange schwarze Tuchhose an. „So, nu geh du an den Herd und bring gut dat Waater tom Koaken“, sprach er zu seiner Frau. Das Holz prasselte im Herd; die Funken stoben, das Wasser kochte und schäumte. „nu rin met dat Blood, rin met de Essig - awer en düchtigen Schuss! Un denn Veper ok en godes Maß - so en lütt Handvull - versteist du!“ Die Müllerin tat wortlos wie ihr geheissen, sie schüttelte den grauen Kopf.“

Unterdessen zerschnitt der Talmüller mit seinem scharfen Messer seine alte „Englischlederne“ in Streifen. Davon warf er nun eine Handvoll in das brodelnde Wasser; danach einen zweiten Haufen und so weiter bis alles drin in dem großen Kessel mit dem Dreifuß lag. Und immer mehr Holz wurde untergelegt. Hochauf züngelten die Flammen und beleuchteten mit grellem Rot Küche und Hausdiele. Wenn aber die verfressenen Russen drinnen ungeduldig schienen, beruhigte sie Knackmuß durch den Türspalt mit freundlichem Wort und Lachen; Kerls, Ruski; diese Suppe muss ein wenig länger kochen. Dafür wird es aber auch eine Suppe - wie sie zwischen Petersburg und Moskau nicht zu haben ist -- o -- o -- o --! Schmatzend fuhr er sich dabei mit seiner Zunge rechts und links um die Mundwinkel. Da spitzten die Russen in Erwartung des Kommenden auch lüstern die Zungen und blähten die Nüstern.

Endlich brachte die Müllerin den spritzkochenden Kessel in die Wohnstube und füllte mit gewaltiger Schöpfkelle die große Eßschüssel, die mitten auf dem Tische stand. Die Russen schmunzelten und leckten. „Ei - ei - ja - das war eine Suppe!“ Die kratzte schärfer als der schönste Wuttki! Und, wenn auch der Speck fehlte, die Hauptsache, die Schwarten schwammen darin - viel und weich. Und wenn sie auch nicht ganz so weich und nicht behaart waren, was tat das. - Es war „Swattsuur!“

Christian Friedrich aber und seine Frau Winchen standen in der Tür und nötigten ihre Kriegsgäste auf das herzlichste zuzulangen. Sie trugen den Kosaken nicht nach, dass sie ihnen kurz zuvor hatten ans Leben wollen - und die nickten zufrieden schmatzend und rülpsend zurück. Nur einmal zog einer eine recht verdrießliche Miene, als er auf etwas festes biss und an einem Schwartenstück einen Hosenknopf fand. Er schüttelte seinen schwarzen Haarschopf missbilligend. Sonderbares „deutsches Schwein“, dachte er und schlang mit Wohlbehagen auch die beknopfte Schweineschwarte hinunter. Sonst aber ging die Mahlzeit auf das vergnüglichste zu Ende. Sie fraßen die Schüssel völlig leer und strichen sich mit Behagen über ihre gefüllten Bäuche. Als sie endlich am nächsten Morgen weiteritten, strahlten sie vor Freude, lachten über ihr ganzes breites Gesicht, und schrien den in der Haustür stehenden Müllers grinsend zu: „Swattsu-ur - Swatt - su - ur!“

Der Text wurde ursprünglich von Günter Lohan am 26.8.1997 von einem alten Zeitungsartikel abgeschrieben, den ihm Müllermeister Gerhard Wilcke, Staats, (Wassermühle) zur Verfügung gestellt hatte.

Swattsur

oder Swartsuur (Niederdeutsch) ist ein traditionelles Gericht aus Blut, dass es in Teilen Norddeutschlands und früher auch in Ostpreussen gab. Es entspricht weitgehend der spartanischen Blutsuppe. Der Name leitet sich vom Schweineblut ab, das durch die Zugabe von Essigsud gerinnt, völlig schwarz wird und hinzugefügte Fleischreste und Schwarten verbindet. Für den Sud werden Gewürze wie Lorbeer, ganze Pfefferkörner, Nelken, Zwiebeln und etwas Zucker und Wurzelgemüse in Essigwasser aufgekocht. Hinzugefügt werden können je nach Region und Tradition: Schweinepfoten, Schweineschwänze, Schweineschnauze.)

Die Kosaken

In der nachfolgenden Militärgeschichte wird deutlich, wie die Kosaken als Verbündete im Krieg gegen die napoleonische Besatzung eingebunden waren. Spannend insbesondere, da der Autor sich auf die Region bezieht, in der die Talmühle liegt.

„Der Kronprinz von Schweden befahl dem General v. Puttlitz er solle eine Abtheilung Reiterei auf das linke Ufer der Elbe zu einem Streifzuge nach der Gegend von Angern und Rogätz vorschicken es wurde der Rittmeister und Adjutant v. Zeuner mit 3o Pferden des 6ten kurmärkischen Landwehr Regiments und mit 5o Kosaken bei Ferchland über die Elbe geschickt dieser stieß bei Loitsch unweit Rogätz am 19ten September auf eine Volti gueur Compagnie des 93sten Linien Infanterie Regiments und stürzte sich mit seinen Wehrreitern und Kosaken auf die feindliche Vorderabtheilung von 36 Mann unter dem Lieutenant Descoins Diese Mannschaft wurde gänzlich überwältiget niedergestochen oder gefangen doch der Rittmeister v. Zeuner und der Lieutenant v. Schöler wurden leicht verwundet.“ (Der Krieg in Deutschland und Frankreich 1813 und 1814, Teil 2 - Carl Johann Joachim Friedrich Edler Herr und Freiherr v. Plotho (1780-1820), kgl. Preuss. Oberstleutnant u. Ritter, Militärhistoriker)

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